Poesie zum richtigen Umgang mit himmlischen Wesen
Engel sind Zugvögel. Kathedralen gleichen göttlichen Briefbeschwerern. Und Charons Boot schippert durch die Wartehalle im Einwohnermeldeamt. Es sind wunderbare Gedankenspiele, die der Dichter Ludwig Steinherr in seinem Gedichtband „Engel in freier Wildbahn“ präsentiert. Anrührend sind diese Gedichte, bewegend, mit leisen Untertönen. Und dann schleicht sich durchs poetische Hintertürchen ein eleganter Witz oder eine entlarvend satirische Beobachtung ein. Wenn es etwa um „Casual Wear“ im Lauf der Jahrhunderte geht: „Römische Senatoren zupften am Faltenwurf ihrer Toga / länger als am Faltenwurf ihrer Reden“. Immer wieder mischt in Ludwig Steinherrs Lyrik die Antike mit, ebenso wie christliche Heilige, exotische Orte und die Kunst vergangener Jahrhunderte, um dann auf das Jetzt und Hier mit seinen iPhones, Herzuntersuchungen und Autounfällen zu prallen. „Bei Homer hat jeder seinen eigenen Tod / und heute versuche ich mir / zu jedem Menschen im Supermarkt / seinen eigenen Tod vorzustellen.“
Ludwig Steinherr ist unbestritten ein Meister der Poesie. Und mit seinem „Engel in freier Wildbahn“ beschert er dem Leser – unterteilt in elf Kapiteln – ein himmlisches Leseerlebnis. Jedes Gedicht für sich ein Kunstwerk mit eigenem Charme – Tipps für ein Survival-Training „Wie bewegt man sich in Engelsgebiet“ inklusive. Nur für den Fall. Allerdings: „Bei vernünftigem Verhalten / bekommt man nie einen Engel zu Gesicht.“
Ludwig Steinherr „Engel in freier Wildbahn“ – eine wohltuende Empfehlung nicht nur für kalte Winterabende!
SCHNEE
Als legte jemand die Hand
auf meinen Scheitel
und flüsterte Segenssprüche –
Ich weiß nicht wessen Hand es ist –
Ich weiß nicht wer da flüstert –
Aber der Segen wirkt
Ludwig Steinherr
Engel in freier Wildbahn
Lyrik Edition 2000
Allitera Verlag
ISBN 978-3-96233-185-6