Sachbuch

Der Kini, die Katastrophe und die Schuldigen

Mord, Selbstmord, Unfall? Bis heute sind due Umstände des Todes von Ludwig II., König von Bayern, nicht geklärt. Und es wäre auch zu Kurz gegriffen, den einen Schuldigen ausmachen zu wollen. „Jeder, der sich allein in die Erforschung der Todesursache verbohrt und sich auf eine engstirnige Mörderjagd begibt, seinen Blick also ausschließlich darauf richtet, auf welche Weise Ludwig II. ums Leben kam, konzentriert sich lediglich auf die Spitze des Eisbergs und kommt zu falschen Schlüssen, da er dem Eisberg selbst – gemeint sind die Jahre 1845 bis 1886 – keine Beachtung schenk“, schreibt Ludwig-Experte Alfons Schweiggert. Er hat sich genau diesen Eisberg vorgeknöpft und in seine Bestandteile zerlegt. Das Ergebnis ist sein Buch „Der Ludwig II. Prozess – Die Schuldigen an der Königskatastrophe“.

Dabei hat man das Gefühl, dass das katastrophale Ende des Königs beinahe schon mit seiner Geburt begann. Die Familienverhältnisse waren schwierig, das Verhältnis zum Vater äußerst problematisch, der Bruder litt an einer Geisteskrankheit und der gerade einmal 18 Jahre junge König mochte lieber philosophieren statt regieren – Suizidgedanken inklusive. Eine alptraumhafte Verlobung, die schnell wieder aufgelöst wurde, machte das Leben des homosexuellen Herrschers auch nicht gerade einfacher und die stetigen Demütigungen durch Preußen setzten dem jungen König zu. Auf der anderen Seite ergibt sich aus den unzähligen Dokumenten, die Alfons Schweiggert für sein Buch gesichtet und analysiert hat, das Bild eines reizbaren, unausgeglichenen und zu Wutausbrüchen neigenden Herrschers, der sich selbst als absolutistischen Monarchen sah und keinerlei Kritik zuließ. Mitarbeiter des „Kini“ – das war sicherlich kein Traumjob, denn Ludwig II. konnte ein Scheusal sein. So berichtet Alfons Schweiggert vom Fall des Kammerdieners Mayr, der in ein Jahr lang eine Maske tragen musste, damit der König sein „dummes Gesicht“ nicht mehr zu sehen brauchte. Bedienstete wurden schon mal al Kanaille oder Capital-Ochsen beschimpft. Und wer denkt, dass Ludwig nur über seine Dienerschaft so dachte, der irrt. Der Herrscher von Gottes Gnaden wollte auch das „Ministerpack, dieses Gesindel“ züchtigen lassen, was man ihm allerdings offenbar ausredete.

Das „Ministerpack“ war ein wesentlicher Faktor, wenn es um die „Königskatastrophe“ geht. Alfons Schweiggert zeigt die Abhängigkeiten und Abneigungen, die Egoismen und (Fehl)Einschätzungen auf, die die Situation immer verfahrener machten. Natürlich ging es dabei vor allem auch ums Geld und den Bauwahn des Königs (der übrigens dafür nicht in die Staatskasse griff), aber auch um Machtansprüche, eigene Befindlichkeiten und Parteipolitik. Den Adel konnte der König auch nicht leiden, was bis auf wenige Ausnahmen auf Gegenseitigkeit beruhte. Schließlich sorgten der seltsame Lebenswandel des menschenscheuen Königs, der auch die Stadt München mied wie der Teufel das Weihwaser, und die Berichte in der Presse nicht gerade für eine „Imageverbesserung“. Doch wäre es ohne das psychiatrische Gutachten von Dr. Gudden zur Katastrophe gekommen? Auch hier liefert Alfons Schweiggert eine umfassende Betrachtung anstelle einer schnellen Schuldzuweisung. Zunächst war Dr. Gudden nicht der erste Psychiater, der dem „Kini“ eine geistige Erkrankung bescheinigte. Außerdem war es ein insgesamt vierköpfiges Ärzte-Konsortium, dass den König begutachtete – freilich ohne persönliche Untersuchung, sondern nach Aktenlage. Was heute immer wieder kritisiert wird, entsprach damals aber den Gepflogenheiten.

Welche Rolle also spielte die sogenannte „königlich-bayerische Viererbande“, bestehend aus Dr. Bernhard von Gudden, Minister Johann von Lutz, Graf Maximilian von Holnstein und Prinzregent Luitpold? Jeder spielte eine Rolle in der Tragödie. Und jede Handlung oder Nicht-Handlung zog Konsequenzen nach sich, die schließlich im Tod des Königs gipfelten. „Dadurch, dass man dem König die Möglichkeit zum Bauen nahm, untersagte man ihm die Selbstverwirklichung seiner Person und zerstörte ihn damit selbst,“ resümiert Alfons Schweiggert. Geradezu unerträglich wäre es für den „Kini“, wenn er erleben müsste, wie heute Unmengen an Menschen seine Schlösser tagtäglich bestaunen.

Fakten statt Verklärung – das liefert dieses Buch über den „Märchenkönig“, dessen Persönlichkeit so kompliziert und komplex war, wie die Umstände, die zu seinem Ende führten. „Der Ludwig II. Prozess – Die Schuldigen an der Königskatastrophe“ ist ein Muss für alle, die sich ernsthaft und fernab von königstreuer Kini-Verherrlichung über den bayerischen Monarchen und seine Zeit informieren möchten.

Der Ludwig II. Prozess – Die Schuldigen an der Königskatastrophe
Volk Verlag München
ISBN 978-3-86222-415-9

www.volkverlag.de