Sachbuch

Ein Hungerkünstler mit Vorliebe für Maggi

Wissen Sie, warum der große bayerische Tragikomiker Karl Valentin immer ein paar leere Flaschen in seiner Küche stehen hatte? Es hätte ja sein können, dass einer seiner Gäste nichts wolle. Und auch das Nichts hat er somit immer auf Lager gehabt.

Typisch Valentin. Sein Humor, seine verzwickten Gedankengänge, seine skurillen Ideen, sie haben mehr mit der Nahrungszubereitung und -aufnahme zu tun, als man beim Gedanken an den spindeldürren Komiker (der übrigens ein Faible für korpulente Damen hatte) vielleicht vermuten würde. Und so hat Valentin-Experte Alfons Schweiggert sein neues Buch „Karl Valentin – Von der Kunst, so nicht kochen zu können, dass man es nicht essen muss“ auch mit dem Untertitel „Biografisches aus dem Leben eines Hungerkünstlers“ versehen. Nicht nur aus den Sketchen, Drehbüchern oder Gedichten, sondern auch aus Gesprächen mit Valentins Enkelin Anneliese Kühn hat Alfons Schweiggert die kulinarischen Aspekte im Leben des Künstlers heraus gefiltert und dabei Erstaunliches entdeckt. So war Karl Valentin, der sich selbst als Allesfresser bezeichnete, ein ausgesprochener Freund von Maggi: „Wo er Maggi erwischte, schüttete er es wahllos auf alle Speisen, die er zu sich nahm“, berichten Zeitgenossen. Apfelstrudel – das war seine liebste Nachspeise und Zigaretten galten dem starken Raucher als Lebensmittel. Seine Magerkeit wurde schnell zu seinem Markenzeichen, das er als „Skelettgigerl“ bewusst „pflegte“ und als Gast und Gastgeber war er ein schwieriger Fall, denn der Eigenbrötler war nicht gerade gesellig. Und so konnte es durchaus sein, dass er auswärts nur ein hart gekochtes Ei aß, weil alle anderen Speisen ja unsauber zubereitet sein könnten oder er geladene Gäste vor seinem Haus in Planegg stehen ließ. Und Gebäck, das er seinem Gast reichte, musste dieser schon mal bezahlen. Und als ihm im Lokal der Ober die Speisekarte brachte, biss Valentin hinein und meinte: „Diese Karte speise ich nicht.“

Dafür schöpfte er aus der Nahrungsaufnahme jede Menge Inspiration für Bühnenstücke, Couplets oder die Poesie. Nicht nur die berühmten „Semmelnknödeln“ sind dabei zu nennen, nein, nach der Lektüre dieses Buches von Alfons Schweiggert ereilt einen die Erkenntnis, dass es in den Werken Valentins vor Kulinarik nur so wimmelt. So geht es in „Die Raubritter von München“ sprichwörtlich um die Wurst, die in eine Kanone hinein geweht worden ist. Im Stück „Im Schallplattenladen“ verlangt der Komiker Preisselbeer-Platten und das Stück „Der Firmling“ endet mit einem Makkaroni-Debakel. Selbst der Buchbinder Wanninger hat seinen Namen auch einer „süßen Leidenschaft“ zu verdanken. Konditormeister Wanninger war der Besitzer des Stammcafés von Karl Valentin und Liesl Karlstadt. Hier bestellten sie „Grirafftorte“, die von Kindheit an Liesl Karlstadts Lieblingssüßspeise war. Das Rezept dazu befindet sich – wie weitere Koch- und Backanleitungen – im Buch. Eine Anleitung für Menschenauflauf ist freilich nicht dabei.

Der erfinderische Valentin, der den Beruf des Schreiners erlernt hatte, experimentiert auch mit Gerätschaften aus dem Bereich Essen und Kochen. Eine „Spaghetti-Gabel mit Drehvorrichtung“ gehörte zu seinen Ideen genauso wie der „Winterzahnstocher mit Pelzbesatz“. Schließlich ging er sogar unter die Wirte und eröffnete in seinem „Panoptikum“ im Hotel Wagner in München auch ein „Höllen-Café“. Als das schließen musste, versuchte er es mit einer „Ritterspelunke“, in der sich eine Kleinkunstbühne befand. Diese musste aber im Zweiten Weltkrieg schließen. Im und nach dem Krieg brachen wahrlich magere Zeiten an. Und Karl Valentin veröffentlichte nach dem Ende des Kriegs folgende Traueranzeige:

Schmerzerfüllt machen wir allen Verwandten und Bekannten die tiefbetrübliche Nachricht, daß unser lieber guter letzter BROTLAIB im Alter von 8 Tagen nach langem schweren Sparen heute Mittag 12 Uhr infolge eines eingetretenen Heisshungers, aufgegessen worden ist.

Um eine Brotmarke für die Hinterbliebenen bittet ein grosses Leibweh

Emil Kohldampf, Ernst Schmalhans, Franz Ohnefett, August Hunger, Ida Hunger geb. Wenigfleisch, Emma Niemehrsatt

Dass Karl Valentin am Rosenmontag 1948 an Hunger verstorben sei, entspricht nicht der Wahrheit. Vielmehr sei es – wie Kurt Wilhelm im Gespräch mit Alfons Schweiggert einst bemerke – „der Mangel an Liebe und Resonanz seitens seiner Mitmenschen“ gewesen, der ihn letztendlich besiegt hatte.

Das Buch „Karl Valentin – Von der Kunst, so nicht kochen zu können, dass man es nicht essen muss“ gewährt auch demjenigen, der vermeintlich schon alles über Bayerns berühmtesten Komiker weiß, höchst interessante, amüsante und – wie es sich für Valentin gehört – tragikomische Einblicke in das Leben dieses Hungerkünstlers.

 

Alfons Schweiggert
Karl Valentin – Von der Kunst, so nicht kochen zu können, dass man es nicht essen muss
Biografisches aus dem Leben eines Hungerkünstlers
Allitera Verlag
ISBN 978-3-96233-191-7