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Professoren, Mitmörder und Quarant-Hähne

Was sich heute Ludwig-Maximilians-Universität schimpft, hat nicht in München, sondern in Ingolstadt begonnen. Dort wurde 1472 die erste Bayerische Landesuniversität ins Leben gerufen, die über den Umweg Landshut erst 1826 in München ihre Heimat gefunden hat. 2022 darf man also auf 550 Jahre Universitätsgeschichte zurück blicken – und das tun auch etliche Münchner Turmschreiberinnen und Turmschreiber in der neuen Ausgabe des Hausbuchs.

„Irgendwo hören sich die Grenzen auf!“ war laut Turmschreiber Helmut Eckl der überraschte Ausspruch des angeblich letzten Pförtners Johann Nepomuk Pfanzelter an der LMU, wenn er „ganz und gar Unglaubliches“ entdecken musste. Seine Erlebnisse um eine besondere „Studentenrevolte“ machen den Auftakt zu einer ganzen Reihe an amüsanten und hoch informativen Texten sowie einer Reihe an Gedichten zum Universitätsjubiläum. So berichtet Michael Stephan von „Kasperlgraf“ Franz von Pocci und dessen Karikaturen, in denen er auch manch einen Uni-Professor verarbeitet hatte. Der Zustände in den Studentenunterkünften, den sogenannten Bursen, im Ingolstadt des 15. und 16. Jahrhunderts nimmt sich Gerald Huber an und Jörg Maurer fragt: „Hat jemand von Ihnen Interesse an Georg Friedrich Hegel?“ Dieser mache eigentlich nicht viel Arbeit und brauche außer Papier und Schreibzeug kaum etwas. Die Universität als Ort, um sich in die Ferne und die Geschichte zu träumen, beschreibt Angie Westhoff in ihrer Kurzgeschichte „Delphi“, Walter Flemmer hält eine Begrüßungsrede an die Studierneulinge und Gerd Holzheimer schlendert durch den Irrelevanzgang. Wolfgang Oppler hat zum 50. Jubiläum des 500. Jubiläums von 1972 heraus gefunden: „Jahrelang sparte die Universitätsverwaltung am Budget für Klopapier auf den Studententoiletten und vertraute darauf, dass sich die Studierenden in ihrer Not mit den im Übermaß verfügbaren Flugblättern der Kommunistischen Partei Deutschland und des Rings Christlich Demokratischer Studenten behalfen.“ Und Thomas Grasberger knöpft sich ein aktuelles und recht unrühmliches Kapitel der LMU poetisch vor:

Reisekosten

Einen vice-president aus München,
den wollt´man in Texas einst lynchen.
Mit dem Taxi im Nu
– „Rechnung zahlt LMU!“ –
konnt er sein Malheur übertünchen.

Und auch im alphabetisch nach Autoren geordneten, „klassischen“ Tel des Hausbuchs taucht das Thema Universität hin und wieder auf, etwa bei Hans Göttler, der „ununterdrückbare Überlegungen“ zu Namen für Straßen, Schulen, Universitäten und dergleichen beisteuert. LMU – das hätte auch eine Lola-Montez-Universität sein können. Die Autorinnen und Autoren, die in den Kreis der Münchner Turmschreiber berufen wurden, befassen sich mit zwischenmenschlichen Missverständnissen, seltsamen Begegnungen, dem Christkind, der Totenmaske von Dr. von Gudden, Bruno Gantz, Rudi Dutschke und mehr. Vergangenes trifft auf Aktuelles. Die Corona-Pandemie schlägt sich im Gedicht über die Quarant-Hähne von Georg Eggers nieder und Friedrich Ani nimmt den Mord an Walter Lübcke zum Anlass für sein Gedicht „Deutsche Geschichte“, in dem die „Mitmörder“ angeklagt werden.

Es ist der 40.Jahrgang des Hausbuchs der Münchner Turmschreiber – gewohnt gefüllt mit Geschichten, Gedichten und Gedanken zu Bayern und der Welt. Und diesmal sind angesichts des Uni-Jubiläums ein paar zusätzliche „Gescheithaferl“ mit am Start.

Turmschreiber
Geschichten, Gedanken, Gedichte
Das bayerische Hausbuch auf das Jahr 2022
Volk Verlag München
ISBN 978-3-86222-407-4