Sachbuch

Zwischen Romantik und Emanzipation – Ibsens “Frauengeschichten”

Beziehungsstatus: kompliziert. So würde man die Situation heute womöglich bezeichnen, wenn man auf den großen Literaten Henrik Ibsen und seine „Frauengeschichten“ blickt. Wie viel dieser Begegnungen, ja dieser Frauen steckt im Werk des Dramatikers, dessen Stücke weltweit zu den meistgespielten überhaupt zählen? Dieser spannenden Frage ist Gunna Wendt im ihrem Essay „Henrik Ibsen und die Frauen“ nachgegangen.

Dabei erweist sich eine dieser Begegnungen als folgenschwer – und das schon in jungem Alter. Mit 18 Jahren geht Henrik Ibsen (geboren am 20. März 1828 im norwegischen Skien) während seiner Ausbildung zum Apotheker in Grimstad eine Liebesbeziehung zu Else Sophie Birkedalen ein. Das Dienstmädchen ist zehn Jahre älter als ihr „Liebhaber“, wird schwanger und bringt 1846 einen Sohn zur Welt. Ibsens Sohn. Der junge Mann erkennt die Vaterschaft an „ungeachtet des Umgangs des Dienstmädchens mit anderen Mannspersonen in der fraglichen Zeit“, wie er dem Amtsrichter gegenüber zu Protokoll gibt. Die Affäre scheint den Dichter fortan nicht nur finanziell belastet zu haben (er musste 14 Jahre Unterhaltszahlungen leisten), sondern sie schien so gar nicht in seine Lebensplanung zu passen. „Es scheint, als habe Ibsen die Affäre mit Else Sophie ungeschehen machen wollen, indem er sie verschweig. Doch nicht nur das: Auch seinen Sohn erwähnte er weder in Briefen noch in Aufzeichnungen aus dieser Zeit,“ schreibt Gunna Wendt in ihrem Essay. Die Expertin für Künstlerbiographien hat dabei auch beobachtet, dass sich viele Biografen um dieses Kapitel in Ibsens Leben nicht kümmerten, es gar als „Jünglingstragödie“ abtaten. Eine Tragöde war dabei das Leben von Hans Jacob Henriksen, dem Sohn des Literatur-Weltstars Henrik Ibsen. Der gelernte Schmied war alkoholkrank, dreimal verheiratet, die ersten beiden Frauen und fünf seiner sieben Kinder starben früh. Den Vater besuchte er nur ein einziges Mal kurz vor dessen Tod.

Nach einer kurzen Romanze mit Rikke Holst in Bergen, die er als sein „Feldblumenkind“ bezeichnete und die durch das Einschreiten ihres Vaters (und die Feigheit Ibens) plötzlich beendet wurde, waren es schließlich zwei selbstbewusste Frauen, die Leben und Werk des Schriftstellers beeinflussten: Magdalene Thorensen und ihre Stieftochter Suzannah, die spätere Frau Ibsen. Der junge Dichter bewunderte seine Schwiegermutter, die einen literarischen Salon in Bergen führte und er bewunderte Suzannah, die laut Gunna Wendt über die Selbstsicherheit verfügte, die er selbst nicht hatte. Beide Frauen inspirierten den Dichter, der gerade wegen der Frauenfiguren in seinen Theaterstücken gefeiert oder hart kritisiert wurde. Immer wieder verwiest Gunna Wendt auf die biografischen Bezüge. Henrik Ibsen, der zwischenzeitlich München als seine Heimat bezeichnete, aber auch in Rom und Dresden lebte, traf immer wieder auf Frauen, die ihn beeinflussten. Und er agierte nicht immer glücklich im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht. Eine besondere Rolle spielte etwa die Schriftstellerin Laura Kieler. Sie war eine Bekannte von Henrik Ibsen und das Vorbild für die Hauptfigur in Ibsens berühmtestes Stück „Nora oder Ein Puppenheim“. Um ihren kranken Mann zu unterstützen, leiht sie sich heimlich Geld, das sie aber nicht zurückzahlen kann. Sie bittet Suzannah Ibsen, auf ihren Mann einzuwirken, damit dieser sich beim Verleger Frederik Hegel für die Veröffentlichung ihres Manuskripts einsetze. Aber Ibsen hält das Werk für Pfusch. Laura Kieler versucht durch einen gefälschten Wechsel an Geld zu kommen, wird aber dabei erwischt und landet nach einem Zusammenbruch in der Nervenheilanstalt. Nach der Scheidung von ihrem Mann versöhnt sie sich wieder mit ihm. Und Ibsen? Gunna Wendt beschreibt wie Ibsen, der die moderne Gesellschaft als reine Männergesellschaft kritisierte, seine Nora erschaffen hat, aber das reale Vorbild nie in seine künstlerische Arbeit mit ein bezog.

„Manchmal fühlte sich Ibsen durch die Eigenständigkeit deiner selbst geschaffenen Figuren überfordert, allen voran Nora,“ schreibt Gunna Wendt. Auch im wahren Leben ergibt sich durch Ehefrau, Schwiegermutter und die Feministin Camilla Collett eine weiblich Übermacht, die den Schriftsteller beinahe einschüchtert. Und so lässt sich der inzwischen fast 60-Jährige in der Sommerfrische in Südtirol auf zwei junge Damen ein: Emilie Bardach aus Wien und Helene Raff aus München. Letztere notiert: „Er suchte seinem eigenen Geständnis nach die Jugend, weil er sie für seine Produktion brauchte.“

Wie viel steckt nun vom wem in welchem Stück? Wer war vielleicht das Vorbild für Hedda Gabler? Und was inspirierte Ibsen zu seiner „Wildente“? Diese Biografie, die sich vor allem den Frauenfiguren in den Stücken und den echten Begegnungen im Leben des Norwegers widmet, macht Lust darauf, sich mal wieder mit seinen Bühnen-Klassikern und auch Gedichten zu befassen. Jetzt aus einem neuen, weiblichen Blickwinkel.

 

Gunna Wendt
Henrik Ibsen und die Frauen
Essay
Limbus Preziosen
ISBN-13 : 978-3990391860